Ann-Kathrin Lindner wagt den Schritt in den Profisport

Als wir Ann-Kathrin Lindner für die Herbstausgabe des SPORTHEILBRONN-Magazins im September 2020 besucht hatten, um über ihren frisch gewonnenen U25-Europameistertitel zu sprechen, war sich die 24-Jährige noch nicht sicher, ob sie auch „ganz in die verrückte Reiterwelt einsteigen will“. Jetzt, im Januar 2021, hat sie den Wechsel zu den Profis gewagt – verbunden mit einem Umzug in eine neue Reitanlage in Leingarten. Wir haben sie dort besucht.

Fotos: Marcel Tschamke, Chelsey Jensen

Autor: Lena Staiger

6. März 2021

 

 

 

Ann-Kathrin, wir besuchen dich heute auf einer neuen Reitanlage, wie kam es zum Wechsel weg von Heilbronn und hierher nach Leingarten?

Ann-Kathrin Lindner: Das war eigentlich ein Zufall. Mein Trainer hat mir den Tipp gegeben, die Anlage von Jürgen Kurz mal anzuschauen. Als wir hier alle zusammen durchgelaufen sind, dachten wir noch „schön wäre es ja schon“. Dass wir dann aber für so eine tolle Reitanlage ein solch großartiges Angebot bekommen würden, hätten wir nicht gedacht. Da durfte man gar nicht nein sagen, es hat einfach alles gepasst.

Gab das dann auch den Ausschlag, dass du jetzt tatsächlich den Schritt in den Profisport gewagt hast?

Ann-Kathrin Lindner: Ja, auf jeden Fall! Hätten wir nicht so eine Anlage wie hier gefunden, hätte ich den Schritt auf jeden Fall nicht so schnell gewagt. Aber da wir jetzt so viel Glück hatten und von den Bedingungen her einfach alles passt, freuen wir uns, dass jetzt alles so gekommen ist. Das Lustige ist, dass Jürgen als Springreiter noch meinte, er hätte es sich nie vorstellen können mal eine Dressurreiterin auf dem Hof zu haben. Aber nachdem er gesehen hat, dass ich auch mit den Dressurpferden gerne mal springe, hat ihn das überzeugt. Und außerdem bin ich gar nicht so die „typisch pingelige“ Dressurreiterin.

Und hier hast du jetzt bessere Bedingungen als in Heilbronn?

Ann-Kathrin Lindner: Absolut, schon allein die kurzen Wege sind Gold wert. Wenn ich hier vom Stall einen Schritt mache, stehe ich auf dem Reitplatz. In Heilbronn war ich dafür erstmal fünf Minuten unterwegs. Außerdem haben wir einen tollen Außenplatz in Turniergröße und eine Führanlage. Das ist super, da haben die Pferde dann zweimal am Tag Bewegung und sie können sich für die Trainingsstunden warmlaufen. Wir fühlen uns hier mit unseren 15 Pferden richtig wohl und verstehen uns auch mit dem Inhaber super.

Wie sieht dann jetzt ein Arbeitstag des Profis Ann-Kathrin Lindner aus?

Ann-Kathrin Lindner: Ich habe mir als Arbeitsbeginn 6 Uhr gesetzt, für mich gibt es nichts Schöneres als morgens in Ruhe zu reiten und den Sonnenaufgang zu genießen. Dann wird bis ca. zwölf Uhr geritten und es gibt eine Mittagspause, in der die Pferde dann auch fressen. Anschließend geht es weiter bis ca. 19 Uhr. Uns unterstützt jetzt zum Glück noch ein Pfleger beim Misten und Füttern, das würde man sonst körperlich und zeitlich gar nicht alles schaffen.

Dein Job ist es jetzt also, die Pferde zu betreuen und auszubilden?

Ann-Kathrin Lindner: Ja genau, jedes Pferd wird täglich mindestens eine Stunde geritten. Dabei beginne ich immer mit dem Pferd, welches mir aktuell am wenigsten liegt. So bin ich noch zu 100 Prozent konzentriert und kann besser mit ihm arbeiten. Eigentlich habe ich mal gesagt, mein Maximum liegt bei zehn Pferden, jetzt sind es schon elf. Mehr geht aber nicht, da ich sonst den Pferden einfach nicht mehr gerecht werden würde. Außerdem unterrichte ich noch ein bisschen, aber aus zeitlichen Gründen auch nur die Schüler, die ich aktuell schon kenne.

Und die Arbeit als Physiotherapeutin liegt jetzt auf Eis?

Ann-Kathrin Lindner: Genau, ich habe zum 31.01.2021 bei meinem Arbeitgeber gekündigt, was mir sehr schwergefallen ist. Nach der Kündigung ging es mir auch körperlich so schlecht wie noch nie. Besonders der Abschied von meinen Patienten, die ich teilweise über drei Jahre hinweg betreut habe, war echt hart. Aber meine Chefinnen waren zum Glück sehr verständnisvoll und haben mich in meiner Entscheidung zu 100 Prozent unterstützt. Dafür bin ich wirklich dankbar.

Wie haben die Pferde auf den Umzug und die neue Umgebung reagiert?

Ann-Kathrin Lindner: Die waren alle total aufgeregt! Wir haben sie hier ja auch ganz anders in den Boxen verteilt als in Heilbronn. Das gab dann einen Tag Gewiehere und sie haben sich gerufen. Das war schon sehr ungewohnt für alle. Auch für die Pferde, die dann kurzfristig alleine in Heilbronn standen, muss es sehr merkwürdig gewesen sein. Mein Turnierpartner Sunfire, den ich ja immer Fritz nenne, dachte natürlich, wir wären auf einem Turnier. Wir meinten dann noch so zu ihm: „Das ist ein cooles Turnier, oder Fritz? Hier können wir bleiben.“

Du hast ja vergangenes Jahr auch noch einen größeren Erfolg mit „Fritz“ beim Piaff-Förderpreis gefeiert, wie waren da eure Erfahrungen unter Coronabedingungen?

Ann-Kathrin Lindner: Es war vor allem am ersten Tag tatsächlich ein bisschen schwierig, da es seit längerem wieder das erste Turnier war, und dazu dann auch noch in einer festlich geschmückten Halle. Ich hatte das Gefühl, Fritz hat sich da am ersten Tag noch nicht so wohlgefühlt. Deshalb bin ich am nächsten Morgen nochmal mit ihm in die Halle gegangen und habe mir mit ihm gemeinsam alles angeschaut. Und daraufhin war es wirklich so gut wie noch nie. Er ist genauso gegangen, wie ich es mir immer vorgestellt habe. Das war zum ersten Mal so. Ich habe mir dann sogar im Anschluss das Video davon gekauft, obwohl ich das eigentlich nie mache, aber das war etwas ganz Besonderes… Die Rahmenbedingungen waren natürlich sehr streng, ich durfte nur mit einer einzigen Begleitperson anreisen und alle wurden im Vorfeld getestet.

Wie ist das Turnier sportlich einzuschätzen?

Ann-Kathrin Lindner: Man kann den Piaff-Förderpreis als inoffizielle deutsche Meisterschaft der U25 bezeichnen. Um dort starten zu dürfen, muss man an einem Auswahllehrgang teilnehmen. Die 20 Reiter, die sich dann qualifizieren, treten bei vier weiteren Turnieren an und die insgesamt besten Acht starten dann im Finale des Piaff-Förderpreises. Ich bin wirklich happy über das Ergebnis, so eine schwere Prüfung mussten wir nämlich noch nie reiten.

Steht dann für dich auch sportlich der nächste Schritt an? Du meintest ja letztes Mal, so langsam wäre es Zeit, sich auch bei den Senioren zu etablieren…

Ann-Kathrin Lindner: Das war jetzt mein letztes Jahr bei den U25, ab jetzt kann ich nur noch bei den Senioren starten. Darüber habe ich auch mit meiner Bundestrainerin gesprochen, wie wir mich jetzt da rein bekommen. Das Problem ist, dass dieses Jahr aufgrund der Olympischen Spiele überall, wo die Senioren starten, Sichtungen für Tokio stattfinden. Dieses Jahr ist es einfach so schwer wie noch nie. Wenn die Tokio-Reiter nicht starten, darf ich auch mal reiten, aber wahrscheinlich werde ich einfach noch etwas geduldig sein müssen.

Das klingt eher nach langfristigen Plänen…

Ann-Kathrin Lindner: Fritz hat jetzt über den Winter auf jeden Fall nochmal einen großen Sprung gemacht und ist allgemein sehr gut drauf. Ich weiß gar nicht, wie ich ihn die ganze Zeit beschäftigen kann. Er ist hochmotiviert und kann es kaum erwarten, endlich wieder loszulegen!

„Ann-Kathrin behandelt, im Gegensatz zu manchen Profireitern, ihre Pferde nicht wie Sportgeräte. Ihr ist es wichtig, ganzheitlich mit ihnen zu arbeiten und zu jedem eine individuelle Beziehung aufzubauen. Sie steckt wahnsinnig viel Energie und Herzblut in ihre Arbeit. Die Pferde sind ja richtige Leistungssportler, die man als Partner auf seiner Seite haben muss, um langfristig erfolgreich zu sein. Diese Perspektive hat Ann-Kathrin nach den Erfolgen in der U25 auf jeden Fall. Wenn Pferd und Reiterin gesund bleiben, sehe ich keine Grenzen nach oben.“

Werner Lindner, Vater von Ann-Kathrin