Amelie Kühne: „Beim Klettern dreht man das Unmögliche ins Mögliche“

Höhenangst? Nein, natürlich nicht. Zumindest nicht bei Amelie Kühne. Die 19-Jährige ist Mitglied im Expeditionskader des Deutschen Alpenvereins. 2020 machte die Untereisesheimerin am Albert-Schweitzer-Gymnasium in Neckarsulm ihr Abitur, nachdem sie während ihrer Schulzeit lange zwischen Schule, Kletterarena und Kadertraining in Stuttgart gependelt war. Nach dem Abi jobbte sie nun bis Ende Januar bei der Deutschen Post, um sich etwas Geld für ihre kommenden Aktivitäten zurückzulegen. Denn Amelie Kühne hat Großes vor: Ende 2020 wurde sie als jüngste Kletterin in den Expedkader aufgenommen und sie trainiert nun im Team für eine große Expedition im Jahr 2023. Was genau dahinter steckt, hat sie uns bei unserem Treffen in der Heilbronner Kletterarena erzählt.

Fotos: DAV/ Silvian Metz, Marcel Tschamke, Chelsey Jensen

Autor: Lena Staiger

4. März 2021

Amelie, du warst letztes Jahr im Nationalkader und bist jetzt im Expeditionskader des Deutschen Alpenvereins. Was ist da der Unterschied?

Amelie Kühne: Im Nationalkader geht es ums olympische Sportklettern, also um Bouldern, Lead,- und Speed-Klettern. Beim Bouldern klettert man ohne Seil bis auf Absprunghöhe und ist unten gesichert durch dicke Matten. Beim Lead-Klettern ist in regelmäßigen Abständen das Sicherungsseil eingehängt, um einen Sturz so kurz wie möglich zu halten. Die Speed-Disziplin ist, wie der Name schon sagt, die schnellste der drei. Hier klettert man im direkten Duell eine immer gleichbleibende Tour so schnell wie möglich nach oben. Wer als erster oben abschlägt, hat das Duell gewonnen. Ich wollte aber wieder weniger am Plastik machen, sondern raus in die Berge und am Fels klettern. Mit dem Expeditionskader machen wir meist Lead-Touren mit Seil. Wir bereiten uns gemeinsam im Team zwei Jahre lang auf eine große Abschlussexpedition vor, die wir selbst planen dürfen. Man erklimmt 5.000er und 6.000er oder macht Erstbegehungen. Die letzten Expeditionen des Kaders waren zum Beispiel in Indien oder Tadschikistan.

Wie genau bereitet ihr euch auf so eine große Abschlussexpedition vor?

Amelie Kühne: Letztes Jahr hatten wir ein Sichtungscamp, bei dem die Mitglieder des Kaders ausgewählt wurden. Alle Kletterer, die dabei sind, haben einige Vorerfahrungen. Durch regelmäßige Lehrgänge bereiten wir uns dann als sechsköpfiges Team gemeinsam vor, sammeln Routine und lernen neue Dinge. Bei diesen Lehrgängen werden spezielle Themen behandelt, wie zum Beispiel Eisklettern oder Technoklettern, also das Klettern mit technischen Hilfsmitteln. Daheim trainiert natürlich nochmal jeder für sich. Ich übe zum Beispiel hier in Heilbronn die spezifischeren Sachen, um am Felsen dann fit zu sein.

Klettern am Felsen ist hier in der Heilbronner Region ja auch eher schwierig, oder?

Amelie Kühne: Genau, dafür fahre ich mindestens zwei Stunden in die Berge. Die ganze Kletterei ist natürlich mit vielen Reisen und längeren Strecken verbunden, aber es macht ja auch sehr großen Spaß. Ich habe jetzt aufgehört zu arbeiten, damit ich auch mal längere Reisen machen kann. In dem Sport spielt natürlich auch der Idealismus eine ganz große Rolle. Unter der Woche trainiere ich viel hier in der Halle aber an meinen freien Tagen und am Wochenende bin ich in den Bergen.

Wie bist du überhaupt zum Klettern gekommen?

Amelie Kühne: Ich war schon von klein auf mit meinen Eltern draußen in den Bergen unterwegs, was mich damals schon sehr fasziniert hat. Mit zwölf Jahren bin ich dann richtig in die Sportart eingestiegen, davor hatte ich von Handball über Schwimmen, Triathlon bis hin zu Voltigieren und Fußball alles ausprobiert. Mich reizt es, einen Berg zu betrachten und nicht zu wissen, wie man hochkommt. Dann dreht man das Unmögliche ins Mögliche, steht am Ende oben und kann den Blick nach unten genießen. Dabei zu wissen, man hat es aus eigener Kraft nach oben geschafft, ist ein tolles Gefühl.

Spielt bei deinen Touren auch eine gewisse Angst mit? Das klingt ja schon ein bisschen gefährlich…

Amelie Kühne: Nein, überhaupt nicht. Natürlich ist das Klettern immer mit einem gewissen Risiko verbunden. Wir versuchen dieses aber weitestgehend zu minimieren und sichern uns immer bestmöglich ab. Sobald es höher hinaus geht, sind wir immer angeseilt. Im Team achtet auch immer jeder auf die Sicherheit. Wenn ich dann eine Tour klettere, habe ich dabei keine Angst. Ich bin währenddessen so fokussiert und konzentriert, dass ich nichts mehr um mich herum wahrnehme. Im Nachhinein denkt man sich dann manchmal: „Wow, das war schon richtig cool“.

Wie sieht es im Klettern mit dem Konkurrenzkampf aus?

Amelie Kühne: Als ich noch im Nationalkader Sportklettern war, hat man den Konkurrenzkampf schon gemerkt. Man hat zwar im Team trainiert, aber bei den Wettkämpfen war das natürlich spürbar. Jetzt im Expeditionskader zählt nicht die Leistung des Einzelnen. Nur die Teamleistung bringt einen weiter. Man will die Ziele gemeinsam erreichen und die Touren als Gruppe durchziehen. Das gefällt mir sehr gut.

Wenn nun jemand als absoluter Kletterneuling gerne in den Sport einsteigen würde – wie müsste er anfangen?

Amelie Kühne: Im Normalfall beginnt man in der Boulderhalle, um mal ein Grundgefühl für die Bewegungen und die Griffe zu bekommen. Man klettert einfach, was einem Spaß macht. Das Tolle in unserer Community ist, dass eigentlich immer jemand da ist, der mal ein paar Tipps geben kann. Wenn man dann Spaß am Klettern hat, wird das Training spezifischer, je nachdem, in welche Richtung es gehen soll.

Was war bisher dein höchster Berg und wo soll es noch hingehen?

Amelie Kühne: Mein bisher höchster Gipfel war vor vier Jahren der Mont Blanc. Das war eine sehr spontane Aktion. Wir haben mittwochs entschieden, am Wochenende mit Freunden die Tour zu machen. Freitag sind wir nach der Schule losgefahren und waren dann um 24 Uhr in Chamonix. Von dort sind wir am nächsten Tag bis auf eine Hütte gelaufen, haben dort übernachtet und waren dann Sonntag auf dem Gipfel. Sonntagabend sind wir wieder nach Hause gefahren und am Montag früh saß ich wieder in der Schule. Für die Zukunft habe ich schon ein paar Träume im Kopf, den Eiger würde ich zum Beispiel gerne klettern. Bei den größeren Bergen weiß ich es noch nicht genau. Das ist immer mit einem riesigen Aufwand verbunden und muss einem auch liegen. Wenn, dann wäre es mein Ziel, die großen Berge ohne Sauerstoff zu erklimmen.